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Schwimmen, Wickeln, Radfahren, Laufen

Das Babyglück krönt das Rekordjahr des Jan Frodeno

Die Geburt eines Kindes ist ein Segen für die Familie. Neun Monate mit Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen liegen hinter den werdenden Eltern. Jan Frodeno, der Ironman-Europameister und Sieger des härtesten Triathlon der Welt auf Hawaii, hat in den neun Monaten vor der Geburt seines Sohnes am 9. Februar 2016 auch beruflich das geschafft, was nur wenige für möglich hielten. Die Kraft der baldigen Geburt machte ihn zu dem Triathleten des Jahres 2015. Gemeinsam mit seiner Frau Emma Snowsill bestreitet er statt einem Ironman-Dreikampf nun zumindest an heimischen Trainingstagen einen Vierkampf.

2015 war sportlich gesehen das Jahr des Jan Frodeno: Ein Meisterschaftsjahr zum Träumen. In Frankfurt der erste Ironman-Sieg überhaupt, nachdem er 2012 von den Kurz- und Mittelstrecken auf die Langdistanz umgestiegen war. Dazu gleich der Gesamtstreckenrekord und die viertschnellste je in einem Ironman gelaufene Zeit – 7:49:48 Stunden. Anschließend gelang ihm in Zell am See sein erster WM-Titel auf der Langstrecke. Doch die Krönung und damit der Aufstieg zu einem der größten Triathleten aller Zeiten folgte am 10. Oktober 2015.

Kailua-Kona. Hawaii. Höchsttemperatur bei 38 Grad. Kurz nach 15 Uhr Ortszeit. Pure Freude auf der Zielgeraden. Frodeno hat sich seinen zweiten Lebenstraum erfüllt. 8:14:40 Stunden für 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen. Sein erstes Lebensziel war der Olympiasieg 2008 in Peking. Dazwischen liegen nicht nur sieben Jahre Training und Wettkampf, sondern auch die Wandlung des Triathleten Jan Frodeno. Vom jungen, talentierten Schnellschwimmer zum erfahrenen Trainingsweltmeister mit Siegergen.

„So oft, wie ich daran schon gescheitert bin, war ich mir nicht sicher, ob ich das jemals in meinem Leben erreichen könnte. Hawaii war dann das Größte, der Wettkampf hat aber auch am längsten gedauert.“

Dort, wo vielen Angst und Bange wird, am Wendepunkt des abschließenden Marathons, dem sogenannten „EnergyLap“ , zündete Frodeno noch einmal den Turbo. „Das passiert sonst nicht beim Ironman. Das war so unvorhersehbar, dass ich im Rennen Gänsehaut bekam.“ Diese Kraft resultiert einerseits aus der Gewissheit bereits eine solche Distanz als Sieger bestritten zu haben. In diesem Jahr gab ihm ein Ereignis aber sicherlich noch einen Extra-Schub. „Als ich erfuhr, dass ich Papa werde. Das war im Juni. Meine Frau Emma kam in den Massageraum, sagte es und mir schoss es sofort nass in die Augen. Das war überwältigend.“ Die Tatsache, dass die schwangere Frau und Frodenos Eltern in Hawaii vor Ort waren, machten den Erfolg zu einem perfekten Familienereignis. Kurz nach dem Zielstrich küsste er den schon ein wenig sichtbaren Babybauch seiner Emma.

Karriere hing am seidenen Faden

Ein paar Jahr zuvor hätte niemand auch nur einen Cent auf Jan Frodeno gesetzt. Der Sportler stand kurz vor seinem Karriereende – Burnout, er konnte nicht mehr...

Frodeno wächst nach seiner Geburt in Köln in Südafrika auf und arbeitet dort neben der Schule als Rettungsschwimmer. Wegen fehlender öffentlicher Verkehrsmittel steigt er auch immer öfter aufs Rad. 2002 dann – mittlerweile legt er die meisten Wege auf dem Rennrad zurück - verkauft er sein Rennrad, für ein Ticket nach Deutschland, um hier professioneller Triathlet zu werden. Der Plan geht schnell auf, denn er ist außerordentlich talentiert. 2003 wird Frodeno Deutscher U-23 Vize-Meister, kurz darauf U-23 Vize-Weltmeister, Deutscher Meister sowie Vize-Europameister. 2008 wird sein Erfolg auf den Kurz- und Mittelstrecken mit dem Olympischen Triumph gekrönt. 2010 verpasst er nur knapp den Weltmeistertitel und damit das historische Double. Das ist der Wendepunkt in Frodenos Karriere. Woran lag es? Nach seiner Goldmedaille von Peking hatte sich der Unermüdliche zu viel zugemutet. Sein Körper streikte bei einem Pensum von 50 Stunden Training pro Woche. Der Burnout erwischt halt nicht nur Büromenschen, sondern auch Leistungssportler. Zu Beginn des WM-Jahres 2010 folgte eine Serie von Verletzungen an Wade und Achillessehne. Das Lauftraining fiel immer öfter aus.

In einem Interview mit Welt Online redete er offen und ehrlich über die schwierigste Zeit seiner Karriere: „Ich war kurz davor zu sagen: Okay, ich fahre jetzt zu meinen Eltern und schmeiße alles hin. Das war eine ganz seltsame Situation, in der ich mich kaum wieder erkannt habe. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wohin mit mir. Ich habe dann meinen Manager gebeten, mich für ein paar Wochen komplett abzuschotten, habe keine Interviews mehr gegeben, nichts. Kein Twitter, keine Mails. Ich hatte überhaupt gar keinen Bock mehr, auch nicht aufs Training. Das war alles Quälerei, Dinge, die sonst ganz einfach sind, haben nicht geklappt. Das war mehr als ein Loch wo man sagt: Weichei, reiß dich zusammen.“ Gedanken an Pizza und Wein schwirrten durch seinen Kopf. Was für uns vielleicht nach einem normalen Restaurantbesuch am Samstagabend klingt, ist für Triathlon-Profis in der knallharten Vorbereitungsphase pures Gift. Frodeno lernte in der Zeit viel über sich. „Wenn mein Trainer eine Pause plant, muss ich die wohl einhalten, auch wenn ich mich fit fühle. Die Ressourcen sind endlich. Vollgas geben ist super, wenn man gut drauf ist, aber bei mir schwenkt das offenbar sehr schnell um.“

Antriebslosigkeit und Schlafstörungen

Burn-out im klinischen Sinne hat man, wenn man mindestens sechs Wochen am Stück unter depressiven Verstimmungen, Schlaflosigkeit, Energie- und Antriebslosigkeit leidet. Wenn die Gedanken ständig um dasselbe kreisen und man sich selbst nur noch negativ einschätzt. Die meisten haben das Bedürfnis, viel zu schlafen und lassen sich erst mal krankschreiben. Aktive Erholung ist dabei ganz wichtig. In den Urlaub fahren, ausruhen. Man muss sich aus dem jeweiligen "Leistungs-Umfeld" rausziehen, um wieder Energie tanken zu können. Einzel- und gruppentherapeutische Gespräche können auch dazu beitragen, dass man sich wieder besser fühlt.

Doch Frodeno ist nicht der Typ, der einen Psychologen aufsucht. „Ich kann die Dinge offen und ehrlich mit Kumpels und Verwandten besprechen. Es ist kein Problem für mich, Schwäche zu zeigen, dafür sind Freunde da. Ich habe die Ruhe gesucht und habe mich nur noch mit Menschen umgeben, die mir wirklich richtig nahestehen. Da kann man dann ziemlich schnell wieder einen klaren Kopf bekommen. Vor allem bin ich wieder in das Zimmer am Olympiastützpunkt in Saarbrücken gezogen, in dem ich schon vor dem Olympiasieg gewohnt hatte.“

Nach der Krise gab es den Aufschwung. Frodeno konzentrierte sich mehr denn je auf den Sport, den er so sehr liebt. Ganz oder gar nicht. Diesen Sport könne man nur mit 100%iger Identifikation erfolgreich bestreiten. Frodeno hatte sogar Angst zu früh zu fit zu sein. Sein Wille zu Siegen war sofort wieder da. Bei der WM wurde er Sechster und verpasste die Chance Olympiasieg und WM-Tiel hintereinander zu holen. Heute wird er es verschmerzen können.

''Jan Frodeno ist der professionellste Triathlet der Geschichte'' - Chris McCormack

Die Acht-Stunden-Marke auf Hawaii ist das Ziel

Im Kopf und im Herzen ist er Deutscher. Die deutschen Tugenden wie Zielstrebigkeit, aber auch der gewisse Ehrgeiz sind essentiell wichtig. Aber Frodeno kann auch im richtigen Augenblick Ruhezeiten nehmen und die Dinge etwas leichter sehen - die südafrikanische Lockerheit, die ihm hier im Lande ein wenig zu kurz kommt, hilft ihm dabei sehr.

Zusammen mit seiner Frau Emma wohnt er in Australien, in Noosa. an der Sonnenscheinküste von Down Under. Das „Malibu Australiens“. Vier Rennen nur über die Langdistanz haben Frodeno in neue Sphären gebracht. Er ist beim Ironman „angekommen“ und kann es verschmerzen, dass seine geliebte Langstrecke nicht olympisch ist. Das olympische Kurzstreckenrennen 2016 in Rio wird er anders betrachten. Als Fernsehexperte wird er abseits der Strecke einen seiner Nachfolger zum Sieg begleiten. „Die Qualifikation würde ich wohl noch hinbekommen. Aber zu einer Medaille reicht es nicht mehr. Um nur dabei zu sein, macht es mir auf der Langdistanz viel zu viel Spaß.“

Seine Motivation für weitere sportliche Höchstleistungen ist ungebrochen. „Ich freue mich wieder aufs Training. Ziele könnten der Weltrekord oder die Acht-Stunden-Marke auf Hawaii sein, diese magische Grenze ist noch nicht geknackt worden. Das würde mich sehr reizen.“ Das Babyglück wird ihm dabei sicherlich zusätzliche Kraft verleihen. Aber sollte es in diesem Jahr nicht klappen, hat Jan Frodeno noch einige Jahre auf Weltniveau vor sich, denn mit 34 gehört er auf der Ironman-Distanz noch lange nicht zum alten Eisen.

Bildquelle: GettyImages