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Aus dem Rollstuhl auf den Everest

Kenton Cool mit dem Husarenritt im Himalaya

Der britische Kletterer Kenton Cool war bereits elf Mal auf dem Mount Everest – trotz unglaublicher Schmerzen bei jedem Schritt. Im Alter von 22 Jahren in Nordwales etwa viereinhalb Meter von einer Felswand gefallen, brach er sich beide Beine. Die Fersen wurden dabei total zertrümmert. Die Ärzte waren verwundert warum sein Rücken bei solch extremen Verletzungen noch stand gehalten hat.

Drei Operationen an den Fersenknochen, einen Monat im Krankenhaus, dreieinhalb Monate im Rollstuhl und zwei weitere auf Krücken – bis zur vollständigen Genesung brauchte es mehr als ein Jahr. Doch dass es überhaupt zu einer Genesung kommen konnte, war einzig und allein seinem Willen zuzuschreiben. Die Ärzte prophezeiten Kenton Cool auf ewig Gehhilfen. Eigenständiges Laufen sei nicht mehr möglich. Wo andere die Diagnose akzeptieren und mit ihrem Schicksal einhergehen, gab sich Kenton trotzig. Ihm schien es egal, was die Ärzte sagten. Anfangs zog er sich aus dem Rollstuhl die Kletterwände hoch, machte immer mehr Fortschritte und schaffte es am Ende doch wieder zu Laufen. Nur Eines blieb – der Schmerz, bei jedem Schritt.

Quelle: facebook.de/KentonCool

Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen

„Wenn du in den Bergen aufgibst, kommst du normalerweise nicht mehr zurück.“ Kenton Cool hat einen sehr starken Drang, immer weiter zu machen. In schwierigen Situationen realisiere man erst, wie weit man wirklich gehen kann. „Wir Menschen schöpfen von unserem Potenzial die meiste Zeit nur knapp 50 Prozent aus. Auch wenn wir glauben, körperlich am Ende zu sein, können wir immer noch 20 bis 30 Prozent mehr leisten. Ohne zu große Anstrengung.“

Acht Jahre sind seit dem Unglück vergangen. Kenton Cool wollte es noch einmal wissen. Bergführer für die ganz dicken Brocken im tibetanischen Hochgebirge wollte er werden. Viereinhalb Jahre Training in Nordwales, Schottland und den Alpen benötigte er, um den Schein zu bekommen. Er wurde zu einem, ja zu DEM Bergsteiger, der neuen Generation: Er stieg bislang nicht nur für die Bergsport-Annalen elfmal auf den Everest, sondern als hoch bezahlter Bergführer.

Ganz nebenbei und unbemerkt war er der erste Profi, der für seinen Sponsor Samsung das erste Smartphone-Gespräch vom Everest-Gipfel führte. Auch der erste Tweet vom Everest ging, na klar, auf die Kappe von Kenton Cool. Zusammengerechnet zwei Jahre saß er schon im Everest-Basislager und wartete auf willige Abenteurer, die den Kick beim Klettern suchen. „Wer hat von seinem Büro aus so eine Aussicht?““ Das Everest-Gebiet ist sein zu Hause, am Funkgerät meldet er sich nur mit „Kenton““. „Mich kennt dort jeder.“, sagte er vor einigen Jahren bei einem Besuch in Tübingen.

“Ich habe eine Affäre, wie es meine Frau nennt – mit meiner Geliebten namens Mount Everest.“ - Kenton Cool

Kurz nach dem Auftritt in Tübingen startete er seinen ersten eigenen Husarenritt. Hintereinander weg, ohne Zwischenpause im Basislager, kletterte er auf die Achttausender Nuptse, Lohtse und Mount Everest. Alle drei im Single-Push-Stil. Das heißt ohne unterstützende Lagerkette, mit dem ganzen Gepäck vom Zelt bis zur Nahrung; alles auf dem Rücken, immer stur voran bis zum bitteren oder glücklichen Ende. Diese Dreifach-Besteigung hat vor ihm noch keiner geschafft.

Zwei Rekorde in einem Zug

Einige Bergsteiger hatten es schon geschafft, Lothse und Everest in einem Gang und auch in weniger als 24 Stunden zu besteigen, aber niemand hatte es danach auch noch auf den Nuptse geschafft. Kenton Cool und sein Sherpa Dorje Gylgen wagten den Höllentrip durch das Tal des Schweigens. An ihm grenzen in Hufeisenform eine Reihe hochalpiner Gipfel, mit dem Everest in ihrer Mitte. Den Start dokumentierte Cool auf Facebook: „Die ultimative Herausforderung der drei Gipfel hat begonnen. Nuptse haben wir vor ein paar Stunden geschafft. Wir sind nun im Süd-Couloire.“

Cool erreichte den Gipfel von Nuptse, ohne Gylgen, am 19. Mai 2013 um sechs Uhr morgens. Nur 20 Stunden später war er bereits auf der Everest-Spitze. Es war sein 11. Mal auf diesem Gipfel. Und nur weitere 30 Stunden später, in den frühen Morgenstunden des 21. Mai, stand der damals 39-jährige Bergsteiger Kenton Cool auf dem 8.561 Meter hohen Gipfel des Lhotse und wurde somit der erste Bergsteiger überhaupt, der Nuptse, Mount Everest und Lhotse in einem Gang bezwang und das trotz den beiden zertrümmerten Fersenbeinen.

„Schmerz hat keine Chance gegen Leidenschaft. Ihn zu überwinden hat nichts mit körperlichen Fähigkeiten zu tun. Es geht darum, das Ziel zu finden, für das man Schmerzen akzeptiert.“ - Kenton Cool

All seine Erlebnisse im Himalaya-Gebirge und insbesondere bei seinem Husarenritt in nur einem Schwung über die Nuptse, Everest und Lothse hat er in einem Buch festgehalten. Weitere atemberaubende Bilder und Storys erwarten euch.