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Wird ein Holländer der neue Rad-Star?

Tom Dumoulin gewinnt überraschend Giro d’Italia und ist auf dem Weg an die Weltspitze.

Als Tom Dumoulin auf der 16. Etappe des 100. Giro d’Italia plötzlich vom Rad stieg, Trikot und Hose runterzog und für ein allzu menschliches Bedürfnis im Straßengraben verschwand, schienen seine Titelhoffnungen zu schwinden. Durch seinen Toiletten-Gang vor dem letzten Anstieg büßte der Niederländer, der auf der Königsetappe mit Magen-Darm-Problemen kämpfte, nicht nur den Anschluss zur Spitzengruppe, sondern auch beinahe die Gesamtführung ein.

In früheren Jahren hätte diese Schwächephase wahrscheinlich zum Verlust des Rosa Trikots geführt. Schon einmal, bei der Spanien-Rundfahrt 2015, verlor der Niederländer auf der letzten Bergetappe den Titel. Diesmal schlug Dumoulin zurück. Beim abschließenden Zeitfahren nach Mailand nahm er den Kletterspezialisten um Nairo Quintana und Vorjahressieger Vincenzo Nibali die entscheidenden Sekunden ab und gewann überraschend den Giro d’Italia.

100. Giro geht erstmals an Niederländer

„Das ist verrückt. Ich kann das nicht mit Worten beschreiben. Ich war sehr nervös. Ich wusste nicht immer die Zwischenzeiten, erst zum Schluss“, sagte der Kapitän der deutschen Sunweb-Mannschaft bei Eurosport. Es war der erste Sieg eines Niederländers beim Giro überhaupt. Und es war der erste große Erfolg von Dumoulin.

Schon handeln Experten den Aufsteiger als den kommenden Sieger der Tour de France. Nicht wenige vergleichen ihn mit dem Spanier Miguel Indurain, der das härteste Radrennen der Welt fünfmal gewann. „Er ist ein ähnlicher Fahrertyp. Er hat nur noch nicht die Erfolge“, sagte Eusebio Unzue, einst sportlicher Leiter der Radsportlegende und aktuell Teamchef des geschlagenen Quintana, der DPA.

Starker Zeitfahrer, der flott über die Berge kommt

Tatsächlich ist Dumoulin wie Indurain ein starker Zeitfahrer, der flott über die Berge kommt. Die Zeit, die er an den steilen Rampen gegenüber den Kletter-Spezialisten verliert, holt er in den flacheren Abschnitten wieder auf. „Wir gehen vor dem Rennen jeden einzelnen Anstieg durch. Wir markieren die steilsten Stellen, an denen die anderen wahrscheinlich angreifen werden. Kommt dann ein Angriff, weiß Tom seine Kräfte richtig zu kalkulieren“, erklärte Sunwebs Sportlicher Leiter Luke Roberts.

Der deutsche Rennstall mit Sitz in Holland setzte bislang auf Sprinter wie Marcel Kittel und John Degenkolb, die schon etliche Tagessiege einfuhren. Als diese das Team verließen, musste eine neue Strategie her. Mit Dumoulin scheint jetzt auch ein Mann für das Gesamtklassement gefunden. Kein Wunder, dass Sunweb den Profi aus Maastricht mit einem Vertrag bis 2021 locken will. Auch andere Teams haben längst ein Auge auf „Beautiful Tom“, wie er wegen seines Filmstar-Gesichtes genannt wird, geworfen. „Ich verfolge ihn schon seit vielen Jahren. Und ich bin sehr beeindruckt. Wie er den Druck aushält, ist ein Zeichen von Reife. Und seine direkte Art ist einfach erfrischend. Er soll einfach so bleiben, wie er ist“, schwärmte der Chef des Teams Sky, David Brailsford.

Angriff auf Tour-Krone erst 2018

Zu einem Kräftemessen mit seinem dreifachen Tour-Sieger Chris Froome kommt es jedoch vorerst nicht. Dumoulin wird auf einen Start bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt verzichten. Anders als Quintana hat er nicht auf ein Double aus Giro und Tour hintrainiert. Zudem ist das diesjährige Streckenprofil der „Großen Schleife“, die am 1. Juli in Düsseldorf startet, nicht auf den Holländer zugeschnitten. Erst 2018, wenn wieder mehr Zeitfahrkilometer im Programm der Frankreich-Rundfahrt stehen, könnte Dumoulins Stunde schlagen.

„Irgendwann will ich die Tour gewinnen. Das Nächste sind ein Bier und Barbecue. Das ist meine Zukunft. Weiter denke ich nicht“, sagte der Radprofi nach seinem Triumph in Mailand. Wenn ihm dann nicht wieder eine Toilettenpause einen Strich durch die Rechnung macht…