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Der Absteiger des Jahres

Der tiefe Fall des HSV, statt auf dem Weg nach Europa zu sein, findet man sich am Ende der Hinrunde im Tabellenkeller wieder.

„Platz sechs bis acht“ war nach Meinung von Mäzen Klaus-Michael Kühne drin. Vor der Saison ein optimistisches Ziel, aktuell utopisch. Dabei hatte doch alles auf Besserung hingedeutet. Nachdem man sich zwei Jahre in Folge erst in der Relegation den Klassenerhalt sichern konnte, war man letzte Saison Zehnter geworden. Mit Bruno Labbadia schien man endlich den richtigen Trainer gefunden zu haben, einer der mit seinen sportlichen Erfolgen Ruhe in den Verein bringen kann. Dazu kamen vielversprechende Neuverpflichtungen wie Alen Halilovic, der vorher beim FC Barcelona unter Vertrag stand und Filip Kostic für den man die Rekordsumme von rund 14 Millionen Euro nach Stuttgart überwies. Die Arbeit von dem, als „Heilsbringer“, zurückgekehrten Dietmar Beiersdorfer schien endlich Früchte zu tragen.

Doch am Ende der Hinrunde stehen ernüchternde 13 Punkte aus 16 Spielen, aber fangen wir ganz von vorne an:

Mai

Der Grundstein für eine turbulente Saison 2016/17 wurde bereits gegen Ende der letzten Spielzeit gelegt. Der HSV trennt sich von Peter Knäbel einvernehmlich und aufgrund „anderer Auffassungen über die Ausrichtung des sportlichen Bereichs“, so heißt es zumindest von offizieller Seite. Mehrere Medien deuten in ihren Berichten aber an, dass Kühne eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung gespielt haben soll. Knäbel hatte das Amt des Sportdirektors erst im Oktober 2014 übernommen und kam als Wunschkandidat von Beiersdorfer. Letzterer übernimmt den nun offenen Posten als Direktor Profifußball persönlich. Er ist somit für die komplette Kaderplanung der kommenden Saison zuständig.

Juli/August

Rund 33 Millionen Euro investiert der HSV in die Mannschaft, nie zuvor gab man mehr in einer Transferperiode aus und das trotz Verbindlichkeiten von etwa 90 Millionen Euro, Kühne sei Dank. War die Transferphase im Winter zu Beginn des Jahres noch entsprechend dem HSV, sehr chaotisch, man denke nur an den geplatzten Sanogo-Wechsel, weil eine E-Mail den Verein vier Minute zu spät erreichte, lief es diesen Sommer erstaunlich ruhig ab. Man konnte also den Eindruck gewinnen, dass sich in den letzten Monaten viel getan hat.

Dementsprechend werden auch die Saisonziele formuliert, nicht jeder sagt das so drastisch wie Kühne. Labbadia z. B. will, dass man sich weiterentwickelt. Und da zwischen Platz 10 und dem sicheren Europa-League-Platz 6 nicht mehr viel Luft ist, wird deutlich in welche Richtung es gehen soll.

Allerdings sind hochgesteckte Ziele nichts Neues beim Hamburger Sportverein. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie relativ schnell nach unten korrigiert werden müssen.

Nach dem ersten Spieltag deutet alles darauf hin, dass es diese Saison wieder genauso kommen wird. Der einzige Lichtblick nach dem 1:1 gegen Ingolstadt war Neuzugang Bobby Wood, der die Hamburger mit einem sehenswerten Treffer in Führung gebracht hatte. Der Transfer des Hawaiianers wurde noch von Peter Knäbel eingefädelt.

September

Vier Spiele gab es in diesem Monat, alle vier wurden verloren. Bereits nach der ersten Niederlage ließ Kühne öffentlich Zweifel an Labbadia aufkommen. Vorstandsvorsitzender/Sportdirektor Beiersdorfer sah keinen Ausweg mehr. Er entlässt den Trainer Bruno Labbadia. Der „Heilsbringer“ entlässt den „Retter“ – am Telefon, auf Wunsch des Trainers.

Den Namen „Retter“ hatte sich Labbadia verdient, als er den HSV von Interimstrainer Peter Knäbel auf Platz 18 übernahm und sie dann über die Relegation zum Klassenerhalt führte. Jetzt ca. 18 Monate später und saisonübergreifenden 20 Punkten aus den letzten 22 Spielen, steht der HSV erneut auf Platz 18. Einziger Wehrmutstropfen für Labbadia: Seine zweite Amtszeit dauerte gute acht Monate länger als seine Erste.

Keine zwölf Stunden später steht mit Peter Gisdol der zwölfte Trainer seit 2010 in den Startlöchern. Erneut einer, der den HSV retten soll … und muss.

Oktober

Der einzige Unterschied gegenüber dem September: Ein Punkt. Der HSV wird immer mehr zum Gespött der Medien und sozialen Netzwerke:

November

Die Krise geht jetzt auch auf die Führungsebene über. Drei langjährige Mitarbeiter geben bekannt, dass sie ab sofort, bzw. zum Jahresende das sinkende Schiff verlassen werden. Marketingboss Joachim Hilke, Stiftungsgeschäftsführer Stefan Wagner und Mediendirektor Jörn Wolff.

Besonders der Schritt von Wolff kam für viele überraschend, laut der „Hamburger Morgenpost“ wurde seine Entscheidung durch die Beurlaubung seines engen Vertrauten Bruno Labbadia beeinflusst. In seiner offiziellen Erklärung heißt es allerdings, dass er nach 14 Jahren das Bedürfnis nach Veränderung habe.

Veränderung wird auch beim HSV dringend benötigt. Auch im November kann man die Rote Laterne nicht abgeben und das obwohl man die Punkte-Ausbeute verdoppeln konnte.

Dezember

Das Personalkarussell dreht sich munter weiter. Zwei Tage nach dem zweiten Sieg in Folge und dem ersten Heimerfolg bestätigen die Hamburger das, was Rainer Calmund bereits Tage zuvor in der Sendung „Sky 90“ ausgeplaudert hatte. Didi Beiersdorfer muss gehen. Einst wegen seinem guten Spürsinn für finanziell rentable Transfer, Dukaten-Didi genannt, hat er in den zweieinhalb Jahren seiner zweiten Amtszeit sowohl sportlich als auch wirtschaftlich eine miserable Bilanz vorzuweisen. Gründe für seine Entlassung gibt es also zu Genüge, die Art und Weise allerdings, ist fragwürdig. Mündlich wurde er darüber informiert, dass er Ende Januar seines Amtes enthoben werden soll, im selben Atemzug wurde er aber noch darum gebeten die Transfer des Winters abzuwickeln – was er natürlich ablehnte. Daraufhin wurde ihm ein Kündigungsvertrag überbracht, der auf den 22.12. datiert ist.

Richtig kurios wird es aber erst als sein Nachfolger bekannt wird. Heribert Bruchhagen, zu seiner Zeit bei Frankfurt ein großer Kritiker des HSV-Modells mit Kühne als Geldgeber: „Das ist möglicherweise kein fairer Wettbewerb“. Das ist aber noch nicht alles. Bruchhagens Vertrag beginnt am 14.12., läuft also noch acht Tage parallel mit dem von Beiersdorfer.

Und als Noch-Angestellter besucht man natürlich auch die Vereinseigene Weihnachtsfeier, wo emotionale Reden und Standing Ovation auf und für Beiersdorfer verdeutlichen, dass das Trainerteam und ein Großteil der Spieler ihn gerne behalten hätten. Gut zu wissen für seinen Nachfolger.

Als wäre das alles schon nicht chaotisch genug, tritt zwei Tage später Aufsichtsratsvorsitzender Karl Gernandt zurück. Er wirft seinem Kontrollgremium, nach dem zu früh öffentlich gewordenem Rausschmiss von Beiersdorfer, Indiskretion vor. Ein weiterer Grund soll sein, dass zwei Räte die Verhandlungen mit Bruchhagen hinter seinem Rücken geführt haben sollen.

Unter dem ganzen Wirrwarr übersieht man komplett,  dass der HSV sich im sportlichen Aufwind befindet. Neun Punkte aus den letzten vier Spielen bedeuten, dass man am Ende der Hinrunde auf dem beliebten Relegationsplatz 16 überwintern wird und dass der Verein zu Beginn der Wintertransferperiode ohne Sportdirektor dasteht. Heribert Bruchhagen muss also so schnell wie möglich geeignetes Personal unter Vertrag nehmen, angeblich hat er dafür auch schon mehrere Kandidaten im Auge, einer seiner Favoriten: Didi Beiersdorfer. Doch der lehnte dankend ab...