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Wenn eine Niederlage mehr wert ist als ein Titel

+++ Deutschland hat mit Manuel Charr einen neuen Boxweltmeister, doch wie ist sein Titel einzuordnen? +++

Manuel Charr bezeichnet sich selbst als "Deutscher Boxweltmeister", immer wieder bekräftigte der gebürtige Libanese sein "deutsches" Herz und beglückwünschte "uns Deutsche" zum Weltmeistertitel. Da sein Einbürgerungsverfahren in der Schwebe ist, kommt nun wieder der typische Deutsche in uns hoch und hebt mahnend den Zeigefinger, dass Charr kein Deutscher sei. Doch warum? Sollten wir uns nicht freuen, wenn ein Sportler sich dem Land hingezogen fühlt, dem er fast sein ganzes Leben zu verdanken hat? Ganz anders als die Klitschkos, die immer wieder betonten, dass sie Ukrainer sind. Trotzdem waren sie für die Boxfans stets deutsche Boxer. Dass das nicht stimmt, sollte der Letzte jetzt auch verstanden haben. Genug der deutschen Diskussionen ist es nun lieber mal Zeit auf die Boxer zu schauen, die es zwischen Schmeling und Charr versucht haben, den Schwergewichtstitel ins Land zu holen und was für einen sportlichen Stellenwert dieser WM-Titel Charrs mit sich bringt:

115:111, 116:111, 115:112, so lautet das einstimmige Punkturteil des WM-Kampfes zwischen Alexander Ustinow und Manuel Charr. Platz zwei gegen Platz vier der WBA-Rangliste. Ein Kampf der nur zustande gekommen ist, weil Platz eins, Shanon Briggs, gedopt war und sich mit Platz drei, Fres Oquendo, keine Einigung erzielen ließ. Ein Kampf um einen Titel der nur vakant war, weil Anthony Joshua nach seinem Sieg gegen Klitschko zum WBA-Super-Champion aufgestiegen ist.

Und trotzdem wird dieser Kampf in die Geschichte eingehen – vor allem in die Deutsche. Denn nach 82 Jahren hat Deutschland mit Manuel Charr wieder einen Weltmeister im Box-Schwergewicht. Zwar ist er noch nicht in Besitz eines deutschen Passes, aber (und das wissen die meisten nicht) die deutsche Boxlizenz reicht aus, um das Erbe von Max Schmeling anzutreten.

Allerdings lassen nicht nur die Umstände von Charrs WM-Kampf große Zweifel daran aufkommen ob er die Fußstapfen nur annähernd ausfüllen kann. Auch die Tatsache, dass Charr nie einen namhaften Gegner geschlagen hat, sein erster Titelkampf gegen Vitali Klitschko endete mit einem technischen K.O. in der vierten Runde, macht die Sache nicht einfacher. Schließlich hat Max Schmeling den größten Boxer seiner Generation und einen der größten aller Zeiten, Joe Louis, in der zwölften Runde durch K.O. besiegt.

Nichtsdestotrotz kann ihm den Titel keiner mehr nehmen, andere wie Willie Fischer, Axel Schulz oder Luan Krasniqui haben es vor ihm versucht und sind gescheitert, was nicht heißt, dass sie keinen Platz in den deutschen Sportgeschichtsbüchern verdient haben. Besonders die Leistung eines Gescheiterten wird immer unvergessen bleiben, dabei war der Umstand seines Kampfes noch kurioser als der von Manuel Charr.

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Karl Mildenberger war Europameister und Platz vier der Weltrangliste, also definitiv kein unbeschriebenes Blatt im Boxsport, aber auch noch kein Titelanwärter. Das änderte sich mit einem kleinen Vers:

"Keep asking me, no matter how long - On the war in Viet Nam, I sing this song - I ain't got no quarrel with them Viet Cong."

Die Worte stammen von keinem Geringeren als Muhammad Ali, der offensichtlich nicht vor hatte in den Krieg nach Vietnam zu ziehen, obwohl ihn die Musterungsbehörde seiner Heimatstadt Louisville für tauglich erklärt hatte.

Das stieß in dem vom Patriotismus getränkten Amerika auf eine Welle der Empörung. Schon kurz nach seiner Aussage war kein Bundesstaat mehr bereit ein Kampf mit Alis Teilnahme zu genehmigen. Bis zur Einberufung zum Wehrdienst, den er verweigern sollte, blieb ihm also nichts anderes übrig, als im Ausland in den Ring zu steigen. Über Toronto und London gelangte er schließlich nach Frankfurt, wo am 10. September mit Karl Mildenberger, erstmalig ein  Rechtsausleger die Chance auf einen WM-Titel hat. Dem Deutschen wurden keine guten Chancen eingeräumt. Sogar den öffentlich-rechtlichen Sendern war das Risiko eines schnellen Knockouts zu hoch. Man war nicht bereit das Rechtegeld zu zahlen, mit der Folge dass der Kampf nicht im deutschen Fernsehen übertragen wurde.

Ein Fehler wie sich herausstellen sollte, Ali hatte Probleme gegen den Linkshänder aus der Pfalz. Mildenberger bewies ein unglaubliches Kämpferherz, konnte sogar zwei Runden für sich entscheiden. Erst in der zwölften Runde, nach insgesamt drei Niederschlägen und einem fast komplett zugeschwollenem Auge, musste der Ringrichter einschreiten und den Kampf zu Gunsten Alis abbrechen.

Nach dem Kampf bezeichnete Ali Mildenberger als „der zweitschnellste Schwergewichtler der Welt und der am besten aussehende weiße Boxer.“ Wer der schnellste war steht natürlich außer Frage. Auch Jahre später adelte er Mildenberger als schwierigsten Gegner gegen den er je geboxt hat.

Vor kurzem feierte der Deutsche seinen 80. Geburtstag, sein operiertes Knie macht ihm zu schaffen. Er ist der lebende Beweis dafür, dass eine Niederlage gegen den größten Boxer aller Zeiten einen in den Box-Olymp heben kann, der Gewinn eines WM-Titels in der heutigen Zeit, nicht.