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Zeina Nassar: Eine Muslimin boxt sich durch

Berliner Boxerin steigt mit Kopftuch in den Ring und wird zur Integrationsfigur einer Generation

Zeina Nassar steht auf einer Bühne, die auf dem Hof der Otto-Hahn-Schule in Berlin aufgebaut ist. Routiniert beantwortet die 20-Jährige die Fragen von Moderatorin Hadned Tesfai. Nassar erzählt von ihrer Laufbahn als Boxerin mit Kopftuch, von ihrem Kampf als Muslimin im Ring, von Integration und Selbstbestimmung. Neben ihr hört der deutsche Fußball-Nationalspieler Antonio Rüdiger aufmerksam zu. Zeina macht mit ihm ein Selfie und postet später auf Instagram:

Lasst euch von niemanden sagen, dass ihr etwas nicht machen oder erreichen könnt. Setzt euch ein Ziel und macht alles dafür um dieses zu erreichen! Zuerst aber die Schule beenden!

Wenig später trifft der eigentliche Stargast an der Sekundarschule im Berliner Problembezirk Neukölln ein. NBA-Basketballer LeBron James schaut auf seiner Welt-Tour, die unter dem Motto „More Than An Athlete“ („Mehr als ein Athlet“) steht, auch in der Hauptstadt vorbei. Der derzeit beste Basketballer der Welt will junge Menschen zum Sport ermuntern. Sein Rat an die Schüler: „Lasst euch inspirieren und inspiriert andere.“ Zeina wirft mit dem 2,03 Meter großen Modellathleten ein paar Körbe und holt sich von ihm ein Autogramm. „Stolz auf die Begegnung mit @kingjames und dazu noch mega glücklich über seine Unterschrift!“, schrieb sie später auf Instagram.

Zeina ist den Medienrummel um ihre Person in den letzten Monaten gewöhnt. Die Berlinerin wurde in Warnemünde Deutsche Meisterin im Amateurboxen. Das allein ist schon ein Erfolg, wenn da nicht ihr äußeres Erscheinungsbild wäre. Die Muslimin trägt im Ring den Hijab, das traditionelle islamische Kopftuch. Bis auf ihr Gesicht hüllt die Sportlerin ihren Körper in schwarze Kleidung.

Klar ist mir das Kopftuch wichtig, ich kann mich sehr damit identifizieren, aber es macht mich nicht als Menschen aus, sagte die Faustkämpferin der taz. Es ist aber ein Statement.

Ihre Vorbilder sind Mike Tyson und Muhammad Ali

Nassar wächst in Berlin als Kind libanesischer Einwanderer auf. Schon mit 13 zieht sie erstmals bei den „Boxgirls“ die Boxhandschuhe über. Der Verein aus dem Stadtteil Kreuzberg kümmert sich um Kinder und Jugendliche aus Migranten-Familien und holt sie mit Hilfe des Boxens von der Straße.

Mein älterer Bruder hat früher Thaiboxen gemacht, das hat mich nicht interessiert. Dann habe ich mit einer Freundin zufällig Videos von boxenden Frauen gesehen. Ich war total überrascht und dachte: Hey, das will ich auch ausprobieren.

Nach den ersten Einheiten am Sandsack war sie beeindruckt und erhielt vom Boxen ein völlig anderes Bild. Jetzt musste sie nur noch ihre Eltern von ihrer Leidenschaft überzeugen. Die waren von der Nachricht, dass ihre Tochter boxt zunächst geschockt, schließlich schlagen sich Frauen nicht, schon gar keine Muslima. „Aber als sie dann mit in die Halle gekommen sind und mein Lächeln sahen, konnten sie nichts mehr dagegen sagen. Jetzt sind sie stolz, dass ihre Tochter boxt“, erzählte Zeina dem Onlineportal Bento .

So überzeugend sie ihren Eltern gegenübertrat, so zielstrebig setzte sie ihre sportliche Laufbahn fort. Vor fünf Jahren machte Nassar erstmals Schlagzeilen, weil sie beim Deutschen Boxsport-Verband (DBV) durchsetzte, mit Kopftuch im Ring stehen zu dürfen.

Zuerst haben einige richtig blöd geguckt. Aber dann fanden sie es okay, erklärte die Boxerin der Deutschen Presseagentur.

Seitdem lässt sie im Ring nicht locker. Nassar wurde viermal in Folge Berliner Meisterin und in diesem Jahr erstmals Deutsche Meisterin im Federgewicht. Die Boxerin, die als Vorbilder Muhammad Ali und Mike Tyson nennt, liebt es, den Schlägen ihrer Gegnerinnen auszuweichen. Körperliche Blessuren hielten sich bei ihr bisher in Grenzen. Als schlimmste Verletzung schildert sie Schmerzen am Kiefer: „Ich habe tagelang gelispelt."

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Deutsche Meisterschaften 2018 🥊

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Auch private Tiefschläge und Anfeindungen in den sozialen Netzwerken („Geh zurück in dein Land.“) steckt die selbstbewusste Libanesin, die einen deutschen Pass besitzt, weg. „Ja, ich kriege sehr viele Hasskommentare. Früher war ich sehr verletzt. Das Krasseste, was ich mal gehört habe, war von einer Frau, die mir den Tod gewünscht hat. Ich saß vor dem Laptop und habe versucht, alles zu lesen und auf alles zu antworten. Mittlerweile denke ich mir: Warum diese Mühe? Dann werde ich erst recht weiterkämpfen. Ich lasse mich von niemandem aufhalten.“

Nächste Station: Olympia 2020 in Tokio

Abseits des Rings geht Zeina ihren eigenen Weg. Die 20-Jährige studiert in Potsdam Soziologie und Erziehungswissenschaften und stand im Maxim-Gorki-Theater im Stück „Stören“ auf der Bühne. Dabei ging es um Geschlechterklischees, Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung. Themen, die Nassar bewegen. Sie sagt:

Ich will Vorurteile bekämpfen. Mir ist wichtig, dass jeder im Leben das macht, worauf er Bock hat. Egal was. Viele Frauen wollen boxen, haben aber Angst davor. Und ich sage immer: Okay, dann probiere es doch einfach aus.

Sportlich plant die junge Frau, die bereits von großen Sportartikelherstellern und Modezeitschriften entdeckt wurde, den nächsten Schritt und will sich für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren. „Olympia ist mein ganz großes Ziel im Boxsport. Ich werde antreten, und zwar mit Kopftuch.“ Dafür müsste auch der internationale Boxsportverband (AIBA) das Kopftuch-Verbot im Ring aufheben. Doch wie man Zeina kennt, wird sie auch dieses Vorhaben irgendwie durchboxen.

Titelbild  ©instagram.com/zeina.boxer